Tierwohl von Geburt an
Rückblick Workshop Abkalbung und Geburtshilfe

Die LandwirtschaftsAkademie am AELF Töging veranstaltete am 19. März 2024 gemeinsam mit dem Netzwerk Fokus Tierwohl einen Workshop zur Abkalbung und Geburtshilfe in Töging. Tierärztin Dr. med. vet. Kristina Lipp-Radisic referierte über den Ablauf einer natürlichen Geburt, Maßnahmen zur Vermeidung von Problemgeburten sowie über die Erstversorgung des Kalbes und der Kuh. Einen besonderen Schwerpunkt nahmen die praktischen Übungen am Geburtssimulator zur Korrektur unterschiedlicher Fehllagen, Haltungen und Stellungen sowie zum fachgerechten Auszug des Kalbs ein.

Zu Beginn erklärte Lipp-Radisic aufbauend auf einem Geburtshilfe-Videobeispiel, dass "Schwergeburten im Zusammenhang mit Tierwohl für die Kuh, aber auch für das Kalb gesehen werden müssen". Zum einen führen Geburtsverletzungen bei der Kuh zu Langzeitwirkungen wie einem Nachgeburtsverhalten oder einer Gebärmutterentzündung. Auf der anderen Seite liegt die Kälbersterblichkeit bei 5-7 % während der Geburt oder am ersten Lebenstag, was auf eine ineffektive Geburtsüberwachung oder ein Stocken im Geburtsverlauf zurückzuführen ist.

Effektive Geburtsüberwachung

Eine effektive Geburtsüberwachung bedeutet, dass die Kuh alle zwei bis drei Stunden aufgesucht wird. Dies kann durch digitale Überwachungssysteme wie Wiederkauaktivitätsmessung, Körpertemperaturmessung unterstützt werden. Die Kuh sollte sich kurz vor der Geburt in einem sauberen, trockenen Abkalbebereich befinden, der Sichtkontakt zur Herde erlaubt. Darüber hinaus sollten diese getrennt von kranken Kühen gehalten werden.

"Geduld der beste Geburtshelfer" aus Sicht von Lipp-Radisic.

Wann in die Geburt eingreifen?

Die Aufweitungsphase beschreibt die Zeit vom Blasensprung bis zum Durchtreten des Kopfes des Kalbes durch die Scham. Im Regelfall dauert die Aufweitungsphase maximal drei Stunden bei Mehrkalbskühen und bis zu sechs Stunden bei Jungkühen. Kritisch für das Kalb wird es, wenn der Nabel des Kalbes im Becken der Kuh angekommen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist das Kalb über die Nabelschnur versorgt. Auf jeden Fall soll den Kühen genügend Zeit für die Aufweitung gegeben werden. Dabei ist „Geduld der beste Geburtshelfer“ aus Sicht von Lipp-Radisic. Dagegen ist ein Eingreifen erforderlich, wenn kein Geburtsfortschritt erkennbar ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein bis zwei Stunden nach Fruchtblasensprung die Gliedmaßen des Kalbes bei Mehrkalbskühen nicht sichtbar werden.

Geburtshygiene als MUSS

Ein hoher Hygienestandard ist die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Eingreifen in die Abkalbung, um den Eintritt von Keimen in den Geburtskanal möglichst zu vermeiden. Vor der Geburtshilfe sollten der Schambereich der Kuh, die Arme und Hände der Geburtshelfer und sämtliche Materialien (Geburtsstricke etc.) gewaschen und desinfiziert werden. Darüber hinaus empfiehlt Lipp-Radisic das Tragen von Hygienehandschuhen.

Prinzipien der Geburtshilfe

Die Korrekturen der Lage und Stellung des Kalbes sollten möglichst am stehenden Tier erfolgen, da hier dafür mehr Platz im Bauchraum ist. Die Korrektur erfolgt über ein Zusammenspiel aus Zurückschieben und Heranholen. Beim Heranholen eines Beines sollte eine Hand die Klaue abdecken, um innere Verletzungen bei der Kuh zu vermeiden.
Der Auszug des Kalbes sollte dagegen im Liegen erfolgen, da sich hier durch die Steilerstellung des Beckens mehr Platz für das Kalb ergibt. Dabei sind der Einsatz von Geburtsschleim und die Durchführung von heißen Scheidenduschen wichtige Helfer. Der Auszug wird maximal von zwei Personen durchgeführt, um eine zu hohe Zugkraft zu verhindern. Beim Auszug sollte durch entsprechenden Gegendruck von außen ein Dammriss vermieden werden. Während der Wehenpause ist auch Zugpause, umgekehrt wird während den Presswehen gezogen. Der Einsatz des mechanischen Geburtshelfers ist für den Ausnahmefall gedacht.
Wenn die Korrektur bzw. der Auszug innerhalb von 20 bis 30 Minuten nicht gelingt, muss der Tierarzt hinzugezogen werden.

Praxisworkshop

Am Nachmittag vertieften die Teilnehmer die theoretischen Inhalte des Vormittags in Form von praktischen Übungen an der Geburtskuh „Kathi“. Dabei übten die Teilnehmer in Zweiergruppen ausführlich den Einsatz von Geburtsschleim, die richtige Anlage von Stricken, das Anlegen der Kopfschlinge, die Korrektur von fehlerhaften Haltungen und den richtigen Auszug. Außerdem führte die Tierärztin Lipp-Radisic verschieden Erste-Hilfe-Maßnahmen wie beispielsweise das Absaugen von Fruchtwasser und Schleim aus den Atemwegen oder die Mund-zu-Nase-Beatmung vor.

Neues Wissen zuhause umsetzen

Im Rahmen des Workshops erweiterten alle Teilnehmer ihre Vorerfahrungen und Wissen rund um die Abkalbung und Geburtshilfe erheblich. Zudem profitierten Sie auch vom intensiven Austausch mit der Expertin Dr. Lipp-Radisic und von den vielen Tipps, die direkt auf dem eigenen Betrieb umgesetzt werden können. Damit sind Sie in der Lage, das Tierwohl von Geburt an auf Ihren Betrieben noch weiter zu erhöhen.